CARMAGNOLE - Was zum Teufel bedeutet eigentlich der Name?

Heute kommen wir unserem Bildungsauftrag nach und möchten mit einem Irrtum, mit dem wir uns seit der Eröffnung immer wieder konfrontiert sehen, aufräumen. Und zwar ein für alle Mal. Es geht um die Frage nach unserem Namen.

«Ist Carmagnole das französische Wort für Artischocke?», werden wir regelmäßig aus großen, runden, unschuldig dreinschauenden und staunenden Augen gefragt.
«Nein, mein Kind», lautet hier unsere immer gleiche Antwort, «es ist neben «Ça ira» und «La Marseillaise» eines der drei großen Lieder der französischen Revolution.»

Mit der «Carmagnole» verspottet das Volk die Königin Marie-Antoinette, die ganz Paris umbringen wollte und jetzt selbst eingesperrt im Verlies hockte.
«Madame Veto avait promis de faire égorger tout Paris, de faire égorger tout Paris, mais le coup a manqué grâce à nos canonniers …/ Frau Veto hatte versprochen ganz Paris den Hals abzuschneiden, aber ihr Anschlag ging daneben, dank unserer Kanoniere…» aus: La Carmagnole ca. 1792 a.D.
In dieser Zeit standen die Schlösser des Adels und Häuser des Klerus leer, da sich die Herren des Ancien Régime nun auf der Flucht befanden, sofern nicht unter dem Jubel der Massen ihren Kopf unter dem Beil der Guillotine zu verlieren gedachten.

«Für ihre zahlreiche Dienerschaft, allen voran das Küchenpersonal, bedeutet das den Verlust ihrer Arbeit. Ganze Heerscharen von Rôtisseurs, Sauciers, Boulangers und Patissiers, ehedem der eifersüchtig gehütete Stolz jedes Adelshauses, müssen sich ins Heer der Arbeitslosen einreihen. Was bleibt den Handwerkern der Küche übrig, deren Wissen vor allem auf praktischer Arbeit und mündlicher Überlieferung beruht? Mitten im revolutionären Paris, während Angst und Hunger die Stadt heimsuchen, dienen sie ihre Dienste der neuen Machtelite an.» (S. Fuchs)

Damals, im Hexenkessel dieser sozialen Konflikte, entstand das moderne Restaurant wie wir es heute kennen und auf das wir uns berufen. In dem von den Wirren der Revolution gezeichnetem Paris wird es zu einem quasi sakralen Ort, an dem bürgerlicher Sozialsinn, egalitäres Denken und aristokratisches Raffinement eine paradoxe und neuartige Verbindung eingehen.
Und genauso wie unser kleines Bistro im heutigen Hamburg schwankt diese damals vollkommen neue Idee zwischen elitär-aristokratischer Distinktions- und Genusssucht und dem republikanischen Anspruch auf Gleichheit und Einschluss aller Bevölkerungsschichten.
Das Restaurant war Ausdruck einer bürgerlichen Entschlossenheit, sich von den Zwängen einer sozialen Wirklichkeit zu befreien, die bis dahin das Essen für den dritten Stand nur auf die freudlose Zufuhr lebensnotwendiger Kalorien reduziert.
«Zugleich lebt in ihm (dem Restaurant, Anm. Carmagnole), verdrängt und verschüttet, das uneingelöste Versprechen einer klassenlosen Gesellschaft.» (S. Fuchs)
«Das klingt doch erst einmal ganz schön gut», dachten wir uns, als wir in Vorbereitung auf das Bistro uns durch Unmengen von gastrosophischen und kulturhistorischen Abhandlungen und Traktaten zur französischen Küche durcharbeiteten.
«Darauf können und wollen wir uns gern beziehen.»
Aus diesem kleinen Widerspruch, welches ein Abbild der großen Widersprüche unserer Zeit widerspiegelt, lässt sich doch bestimmt das ideelle Fundament für den halböffentlichen Ort, den unser kleines Restaurant sein wird, gießen.

Aber man darf sich von der schönen Idee und seiner Inszenierung nicht täuschen lassen.
So schrieb schon der Schriftsteller und Philosoph Jean-Paul Aron:
«In ihrem Schatten (der Restaurants, Anm. Carmagnole) vegetieren die Massen, die Ausgeschlossenen, die nur einmal am Tag essen, kein Fleisch kennen und die Bäckereien belagern. Ein tragischer Kreislauf der Tischreste ist entstanden zwischen den luxuriösen Vierteln und den trostlosen Vorstädten. Vor den Restaurants, wo man für 20 Sous essen kann, stehen die kleinen Rentiers, die schlecht bezahlten Beamten Schlange. In den Kasernen, in den Armenhäusern, ja selbst in den Schulen, wo die Besitzenden ihre Kinder zur Abhärtung hinschicken, wird ärmliches Essen gereicht. Paradoxerweise fügt sich dieses Gegenbild mit der zur Schau gestellten Gefräßigkeit zu einem unteilbaren Ganzen. Die Räume des Reichtums und des Verfalls verschränken sich. Die glänzenden Bilder der Gaumenfreuden, wie sie die bürgerliche Prunksucht malt, kommen in den Dachkammern als absurde Karikatur an.»

Hat sich seitdem so viel verändert?
Dennoch ist die Ursprungsidee und Entstehungsgeschichte der modernen Restaurants für so inspirierend, dass wir diese nicht in Vergessenheit geraten lassen wollten.

Sie verstehen uns?